Liebe Leute, ich war da, jaja, habe es erleben oder, besser gesagt, genießen dürfen: Fahrrad fahren zwei Wochen lang in Den Haag, Haarlem, Amsterdam sowie kreuz und quer im Naturschutzgebiet hinter der Nordseeküste.
Zuerst einmal: es klappt trotz des unglaublich dichten Fahrradverkehrs. Zu 97 Prozent. Das zur Vollständigkeit fehlende 3 Prozent hängt nicht mit den niederländischen Fahrradwegen, sondern viel mehr mit den Fehlern und Ängsten zusammen, die man aus Deutschland bzw. Stuttgart mitbringt. Die Holländer aber scheinen selbst Kapriolen auf ihren (typisch handbremsenlosen) Fahrrädern vervollkommnen zu können. So fahren sie deine (d.h. meine) Fehler um, „no problem“ sagen sie dir (bzw. mir) und lächeln mich an.
Zum zweiten: einige technische bzw. systemische Beobachtungen. Prinzip ist (mindestens dort, wo ich war): Gebäude (nicht selten mit Blumenbeeten bzw. -töpfen und Sitzbänken neben den Türen... soviel Grün auf den Straßen!), dann Gehweg, abgerundete Stufe, dann Fahrradweg, dann meistens noch mal Stufe, Parkplätze, Autofahrbahn. Diese Reihenfolge hat mehrere Vorteile: Räder und Autos fahren nicht dicht nebeneinander, um einzuparken müssen Autos nicht über den Radweg, Räder müssen nicht vor jeder Fußgängerampel halten, weil der Radweg hinter der Ampel läuft, Fußgänger und Räder bleiben auch tatsächlich und nicht nur theoretisch (wie z.B. in Stuttgart) getrennt (danke der Stufe und der Farbe).
So wäre nach dem niederländischen Gesichtspunkt zum Beispiel die Theodor Heuss ganz anders zu gestalten: Angefangen von den Gebäuden zuerst Fußgänger auf dem aktuellen breiten Trottoir, dann durch Stufe und Farbe getrennter Radweg (der hinter den Ampeln läuft) ebenso auf dem jetzigen Trottoir, dann Bäume, Parkplätze, Autofahrbahn. Warum nicht? Warum ist das in Stuttgart nicht möglich? Was hindert daran?
Und nicht nur die Theodor Heuss: Nach dem niederländischen Gesichtspunkt wäre – um noch ein Beispiel zu nennen - auch dieser neue zweite Radweg im Kaltental, positiv gedacht, höchstens eine Metapher, objektiv gesehen ein Fake-Weg und in der Tat reine Geldverschwendung.
Noch ein wichtiges Kriterium in der Niederlande: Fahrrad und Fußgänger sind zwei verschiedene Systeme mit verschiedenen Takten an den Ampeln. So haben an den Kreuzungen Fahrräder grün, während das Fußgängermännchen noch rot leuchtet. Die Vorteile davon sind offensichtlich: Fußgänger und bykes kommen sich nicht gegenseitig zwischen die Füße bzw. die Räder (was hier meistens das Radfahren unmöglich oder gefährlich für beide macht, sieh Marienplatz, Hauptbahnhof, Charlottenplatz usw.). Das Radsystem ist also an den Ampeln mit dem des Autos gekoppelt. Trotzdem ist man als Biker sicher, weil man immer Vorfahrt vor den Autos hat. Autofahrer scheinen alle (aber wirklich alle, Lastwagen- und Busfahrer inklusive!), das verinnerlicht zu haben: Es ist eine Selbstverständlichkeit, eine fast eingeborene Verhaltensweise, dass der Autofahrer den Biker vorlässt.
In Stuttgart – erinnere ich mich – hat einmal jemand versucht, mich zu überzeugen, ich soll mit meinem Zweirad vom Marienplatz auf die Tübinger Fahrradstraße vor einem Auto fahren, das ebenfalls darein wollte, weil ich – so behauptete der Man – Vorfahrt habe.
„ No, thanks, - war meine Antwort – mag sein, dass ich es so darf, aber er, der Autofahrer weiß es nicht“.
Und gerade das ist ein Teil des Problems: Die Autofahrer wissen es hier nicht oder, genauer formuliert, sehen die Bikers nicht. Deshalb statt (wie vor einiger Zeit) Werbekampagnen zu finanzieren, um die Stuttgarter aufzufordern, aufs Fahrrad umzusatteln, sollte man besser das Geld ausgeben, um den Autofahrern klarzumachen, dass Zweiradfahrer gleichberechtigte und manchmal (z.B. auf Fahrradstraßen) sogar mehrberechtige Verkehrsteilnehmer sind.
In der Niederlande sind es also zwei Systeme: einmal Auto und Rad, einmal Fußgänger. In Stuttgart hat man den gemischten Salat: Ampelmässig bin ich als Biker mal mit den Fußgängern (vor jeder Kreuzung), mal mit den Autofahrern (vor einem Fußgängerüberweg) gekoppelt, und wenn ich fahre, egal ob auf einem Radweg oder auf der Autofahrbahn unterstehe ich den Regeln der Autos und falls zum Beispiel an einer Kreuzung rechts vor links gilt, muss ich aus meinem Fahrwerk aussteigen und die von rechts kommenden Autos vorlassen (in der Niederlande, wie gesagt: Bikers haben Vorfahrt).
Nun, meine Frage: Statt Geld für Scheinradwege oder für kurze ins nichts führende (modern popup genannte) Radspuren oder auch für fantasievolle gefährliche Kreuzungüberquerungen auszugeben, wäre es nicht möglich dieses Geld „zu bündeln“, um daraus einen gesamten logischen Masterplan zu schaffen, der sowohl die Führung der Wege als auch die Ampeln mit einschließt und die Bewegung aller Straßen- und Wegennutzer koordiniert?
Blöde Frage?
Zum Schluss noch eine kleine, nebensächliche Differenz: Radwege sind bei den Niederländern ein Kontinuum, sie sind überall, kilometerlang, selbst auf den Dünen, und sie sind braaaiiit, so breit dass man trotz der Dichte überholen oder überholt werden kann, slow fahren oder Tour de France rennen darf.
Ach ja, und noch eine Nebensächlichkeit: Alle Stufen, angefangen von den hohen bis zu den niedrigsten, sind abgerundet oder schräg bzw. diagonal geschnitten, nicht scharfkantig, so dass man nicht wie hier in Stuttgart immer und überall beim Fahren hopsen muss.
Also, by byke in der Niederlande macht Spaß und ist ein Lernprozess: Wenn man zurück in Stuttgart ist, sieht man deutlich, wie man Fahrradwege nicht bauen sollte.