Es gibt Firmen, auch große, die fast kein Lager mehr haben: Autos und Autoteile werden just in time hergestellt, sogar elektronisches Zeug wird in manchen Fällen auf Bestellung produziert.
Im Grund sagen Lagerung und Transport eines Produktes sehr viel über seine Herstellung, seine Beschaffenheit und seine Qualität aus: Sie sind ein Schlüssel, um zu verstehen, wie frisch, wie aktuell, neu und modern es ist.
Man wäre geneigt zu denken, daß Obst und Gemüse mehr als alle andere Waren möglichst "just in time" auf den Markt und zum Verbraucher kommen, daß nämlich gerade in diesem Fall Lagerung und Transport wegen der Frische möglichst kurz sind. Logisch. Aber falsch.
Leider scheint die Sparte Lebensmitteln in dieser Hinsicht sich noch in den 70er Jahren zu befinden, mit mehreren Lagerungsphasen, langen Transportwegen und viel zu vielen Zwischenhändlern.
Wie sieht der Weg von dem Obst und dem Gemüse aus, die wir aus Italien bekommen und kaufen (müssen)?
Nehmen wir eine Tomate als Beispiel. Also, das Objekt unserer Begierde wird geerntet, eventuell gewaschen oder gereinigt, in Kisten verpackt und zu einem Sammelpunkt gebracht. Von hier wird es in Lastwagen geladen (die meisten davon fahren ungefähr jeden zweiten Tag ab), die Verona als Ziel haben, denn Verona ist die Sammelstelle, aus der die Waren über den Brenner nach Deutschland transportiert werden.
In Verona wird die Tomate in die internationalen LKWs (die TIR) umgeladen, die auch erst jeden zweiten Tag in Richtung Deutschland abfahren. In Deutschland - z.B. in Stuttgart – angekommen, wird unsere Tomate nun auf dem Großmarkt in die Hallen der großen Importeure gelagert, von da kommt sie in die kleineren Hallen der verschiedenen Großhändler, um dann auf einem Lastwagen oder Kleinbus oder Auto endlich entweder zum Gastronomen oder zum Einzelhändler gebracht zu werden.
Wie lange nun war unsere Tomate vom Feld oder vom Glashaus bis nach Stuttgart auf unserem Teller unterwegs? Eine Woche? 10 Tage? 2 Wochen?
Es ist ein lang(wierig)er Weg, den unsere Tomate gehen mußte, und eben dieser Weg zwingt den Produzenten an der Quelle, möglichst früh zu ernten, damit seine Tomate nicht zu reif oder gar kaputt das Endziel erreicht. Aber so reift sie in den Lagern und unterwegs, nicht an der Pflanze. Und so schmeckt sie auch nach Lager, nach Autobahn, nach Lastwagen, nach nix oder im besten Fall nach Wasser. Nur nicht nach Tomate.
Wir Italiener sind ein phantasievolles Volk – es ist allgemein bekannt -, das l’arte di arrangiarsi pflegt und meistert. Es wundert deswegen auch nicht, daß in der Gemüsewelt der Giganten ein Paar Kleine versuchen, mitzumischen. Die sieht man, diese Kleinen, mit ihren Zwergtransportern auf der Autobahn zwischen den Riesen. Ja, es gibt also einige wenige kleine Italiener, die Mühe und Gefahren auf sich nehmen und mit einem kleinen Bus Waren direkt aus Italien auf der von den riesigen LKW beherrschten Autobahn herbringen, um die Restaurants und Läden zu beliefern.
Nun, diese Kleinen - da sie mobiler und flexibler sind und manchmal durch halb Italien fahren und sich sowieso besser auskennen - hätten den Vorteil, direkt an der Quelle einkaufen zu können. Man stellt sie sich vor, wie sie mit ihrem Kleinbus den Kleinbauer oder von mir aus den Wochenmarkt auf einem Dorfplatz ansteuern, die Tomate in die Hand nehmen, sie riechen und hineinbeißen, um sie zu testen (denn sie wissen nämlich, wie die Tomate zu schmecken hat), sich für sie entscheiden und an uns denken, die morgen oder sogar übermorgen, von mir aus auch überübermorgen die wunderbare Tomate ohne zögern von ihnen kaufen werden. Weil wir auch gleich sehen und riechen, daß diese die wahre Tomate ist.
Aber nein, liebe Freunde, wir sind wieder in der falschen Vorstellung! Denn wohin fährt unser kleiner Italiener? Wo holt er sein super-1.Klasse Gemüse ab? Ja, richtig gedacht: In Verona!
Und ich, ich glaubte schon immer, daß die Kleinen und die Minderheiten unsere Welt noch bunt machen, das Anderssein vor der globalisierten Vereinheitlichung der Wünsche, der Gedanken, der Geschmäcker retten. Aber was bleibt mir jetzt zu hoffen übrig, wenn selbst der winzigste Italiener nach Verona fährt? Er hat sich schon angepaßt, er hat sich schon das Zwangshemd der Gleichschaltung überziehen lassen und versteht nicht meine Enttäuschung, wenn ich ihm sage, daß ich seine Tomaten schon kenne, schon bevor ich sie gesehen habe. Wie lange noch bis niemand sich an den Geschmack einer Tomate erinnern wird? Dann, eben dann wird man uns sagen, wie die Tomate auszusehen und zu schmecken hat und wir werden alle ausnahmslos daran glauben und sie kaufen, die plattgemachte, globalisierte Tomate.
Wie schmeckt eingentlich eine Tomate? Eine echte,meine ich. Oder eine Artischocke? Weißt das jemand noch? Sind in unserem Gedächtnis noch Spuren von der Sonne, von der Erde, von den Mineralien, die das Gemüse ausmachen? Wie riecht eine Tomate? Weißt jemand noch, daß eine Tomate, eine wahre meine ich, sehr schön riecht? Kann es mir jemand beschreiben?
Monday, September 8, 2008