Alle taten es ihm nach und wählten aus dem Korb die blassen Baldrianstengel mit den zarten, saftigen Blättern. Und während deren säuerliche Herbheit wich, merkten sie, wie der Wein einen leicht bitteren Geschmack annahm. "Zusammen mit dem Lattich, der mehr Eigengeschmack hat, wird das Bittere schwächer", sagte Gerardo und griff nach einem kleinen Büschel raschelnden Lattichs.
Sie folgten seinem Beispiel und achteten darauf, wie sich der Geschmack des Weins veränderte, der nun dem Gaumen schon milder und süffiger vorkam. Dann nahm der Jüngling einen Löwenzahn, zeigte ihn den anderen und sagte mit schlauem Lachen: "Ich bitte Euch, Herrschaften, kostet nun von diesen Löwenzahnpflanzen, die wir Sonnenblumen nennen, weil sie, wenn sie ausgewachsen sind, große gelbe Blüten bekommen, und diese drehen sich stets zum Licht hin und wenden ihr Gesicht der Sonne zu."
Alle kamen der höflichen Aufforderung nach und kosteten vom Löwenzahn mit den gezahnten, robusten Blättern. Und sie staunten nicht wenig, als der Wein plötzlich süß schmeckte, nachdem er sich mit dem bitteren Aroma des Löwenzahns vermischt hatte. .. "...Ich habe noch eine letzte Überraschung für Euch auf Lager", sagte der blonde Gerardo, während sein Blick etwas in dem Kräuterkorb zu suchen schien. "Hier ist sie", und er zog ein zartes gezacktes Kräutlein daraus hervor, "das ist die Raute, ein Kraut, das, in winzigen Mengen genommen, unseren Salaten jenes bittere Aroma verleiht, das sie schmackhaft macht. Versucht sie erst einmal allein, und Ihr werdet sie als so bitter empfinden, daß man den Geschmack kaum erträgt. Doch trinkt dann den Wein hinterher, und sie wird Euch ungewöhnlich erscheinen..." Die Hände der anderen suchten aus dem Korb das seltene zarte Kraut zwischen den anderen größeren und festeren heraus. Alle kauten darauf herum, vielleicht mit einem gewissen Widerwillen, dann nahmen sie die Becher zur Hand... Keinen Wein glaubten nun alle zu trinken, sondern zuckersüßen Likör, und beim Trinken wuchs ihr Durst, wegen jenes bitteren Geschmacks, der im Mund verblieben war und selbst nach langen wohltuenden Schlucken nicht weichen wollte. (L. Mancinelli, Das Wunder der Heiligen Odilia, Pendo, S. 46-49)